Wie es immer so kommt, auf der Zielgeraden des Jahres 2020 ereilte mich ein Defekt am Rad.
2020 war bislang sehr unauffällig, keine Schäden, Stürze, Pannen oder anderer Unbill und jetzt das.
Betroffen ist aber glücklicherweise nur mein alter Carbon Flitzer, der seine Altersteilzeit auf meinen Smarttrainer verbringt und eigentlich nicht mehr auf die Straße darf.

Defekt ist mein linker Brems-Schalthebel (STI) Typ Shimano Ultegra aus der 6600 Serie, zuständig für den Wechsel zwischen den Kettenblättern und für die vordere Bremse. OK, die Bremse ist auf der Rolle eher nicht so wichtig, aber das ist ja auch nicht das Problem. Die Rastung im STI rastet nicht mehr, meint – die Kette fällt immer wieder auf das kleine Blatt zurück. Am Berg ist das OK – sonst eher nicht.

Nach Inanspruchnahme des global verfügbaren Wissens, ergab sich der folgenden Erkenntnisgewinn:

  • WD-40 hilft in den meisten Fällen, draufschlagen manchmal auch
  • Das Zerlegen des STI geht, das Zusammenbauen eher nicht
  • Es gibt sowie so keine Ersatzteile für defekte STI Komponenten zukaufen
  • Wenn WD-40 oder Gewalt nicht hilft, vergiss es!

Alle Versuche, den STI in WD-40 und verwandte Lösungsmittel zu ertränken oder mittelbaren Zwang einzusetzen waren leider nicht von Erfolgt gekrönt.

Also Plan B: Ich ersetze die Ultegra STI durch Teile aus der aktuellen 105 Serie.
Natürlich links und rechts, das sieht ja sonst seltsam aus und fühlt sich noch seltsamer an.

Auf zum Fahrrad Shop meines Vertrauens und kurz geschaut, was mich das wohl kosten wird.
Leider sind die STIs der teure Teil einer Schaltungsgruppe, auch wenn ich nur die für Felgenbremsen brauche.  Der Preis für ein Set 105 STI liegt so um die 155.-, da schau ich doch mal, was die ganze Gruppe so kostet. Ich wollte ja die Schaltung schon geraume Zeit durch eine moderne 105 Gruppe ersetzen.

Wie – nicht verfügbar? Das ist doch nix Spezielles!

Der Check bei den anderen „üblichen“ verdächtigen Lieferanten liefert leider ähnliche Ergebnisse.

Es fehlen zentrale Komponenten wie Kurbelgarnituren und Schaltungen, und Lieferzeiten werden nicht genannt oder sind > 3 Monate, also nur geraten.
Nicht, dass das am Jahresende, speziell nach einem so sonderbaren Jahr wie 2020, völlig ungewöhnlich wäre, aber über alle größeren Distributoren verteilt ist das schon bemerkenswert.

Grundsätzlich funktioniert der Fahrradmarkt eigentlich seit Jahren nach dem immer gleichen Schema.
Im Herbst stellen die Hersteller ihre neuen Komponenten und Räder vor, die Verkäufer (Radläden oder Onlineshops) tätigen ihre Bestellungen für Räder und Teile, dann wird produziert und ab dem Frühjahr geliefert. Dabei bekommen nicht alle Läden, was sie bestellt haben, und manche stornieren auch die Bestellungen, wenn das Jahr nicht so gut anläuft. Jeder schätzt also, was man so brauchen wird, und auch die Teilehersteller arbeiten mit Prognosen, und am Jahresende ist meist Irgendetwas alle. Aber Kurbeln?

Nach etwas Recherche im Internet und ein paar Telefonaten mit den Lieferanten meines Vertrauens ergibt sich folgendes Bild zur Ersatzteilversorgung in 2021.

  • In 2020 waren alle Prognosen Makulatur. Es gab, je nachdem, wen man fragt, einen Zuwachs von 10-15% oberhalb der Vorhersage. Das führt dazu, dass alle Radhersteller für 2021 ca. 40% mehr Teile bestellt haben als in 2020. Das ist nichts, was die Komponentenhersteller produzieren können, auch wenn sie das sicher gerne wollen.
  • In 2020 haben alle alles an Teilen verkauft oder verbaut, was noch irgendwie funktionsfähig war. Der Kundenbedarf konnte bei den Ersatzteilen gedeckt werden, nicht aber bei neuen Rädern. Man erwartet im Frühjahr, je nach Wetter und Corona Lage, eine größere Nachfrage als in 2020. Der Fokus wird einerseits eher bei den günstigen Rädern (Cityrad) oder E-Bikes erwartet.
  • Noch ist der überwiegende Teil der Komponenten verfügbar, aber es gibt Lücken.
  • Alle Komponenten- oder Teilehersteller (Shimano, SRAM, … ), aber auch Reifenhersteller wie Schwalbe oder Continental haben, laut Order Entry (Bestelleingang), den Großteil des Produktionsvolumens für 2021 verkauft. Eine Steigerung des Produktionsvolumens ist nicht schnell möglich, wird aber sicherlich versucht werden.
  • Die Radproduzenten werden von den Teileherstellern bevorzugt behandelt.
    Alle Teiledistributoren sind eher nervös und befürchten, in 2021 keine oder nur geringe Mengen neuer Ware zu bekommen. Jedenfalls bekommen sie vermutlich nicht die Menge,  die sie bestellt haben. Es gewinnen die, die ein großes noch gefülltes Lager haben.

Fazit:

  • Die Ersatzteilversorgung könnte in 2021 etwas tricky werden, also plant voraus.
  • Wenn ihr größere Umbauten vorhabt, behaltet den Markt im Blick.
  • Es wird vermutlich teurer als ihr denkt.
  • Ebay ist kaum eine Option, die Preise sind für gebrauchte Teile mehrheitlich indiskutabel und der Zustand oft lausig.

Ich habe mich, zur Lösung meines STI Problems, dafür entschieden, mal eine Schaltung aus China (SENSAH EMPIRE 2*11 für 100.-) zu testen.  Die braucht ca. 4 Wochen bis sie hier ist, und in der Zwischenzeit lege ich entweder die Kette auf das große Blatt und reduziere die Trainerschwierigkeit oder fahr einfach mehr in den Bergen.

Beste Grüße aus dem Maschinenraum und ein gesundes Neujahr,
Marco

Titelbild: Photo by Oliver Ulerich on Unsplash

Marco Tessendorf

Über den Autor Marco Tessendorf

Ist 2012 nach einer Alpenquerung auf einem Trecking Rad, auf´s Rennrad umgestiegen. Ist ein treuer Anhänger der N+1 Regeln, mit aktuell N=9 und schraubt an den Rädern gerne und auschließlich selbst. Kauft und nutzt gerne technische Spielzeuge, egal ob das einen Sinn ergibt. Getreu der Regel wer viel misst, misst Mist, Muss seit dem letzten Jahr für die Bahncard nur noch den halben Preis bezahlen und fällt eher in die Kategorie Wuchtbrumme, wobei an „Wucht“ noch gearbeitet wird. Als Sportler definitiv untalentiert und immer ein Kandidat für den Besenwagen, was aber dem Engagement keinen Abbruch tut. Fragt sich immer warum man sich gerade so quält und macht es dann doch immer wieder.